Wir steuern aktuell dem 23.12. zu und freuen uns auf ein paar ruhige Tage. In den vergangenen Jahren war spätestens an diesem Tag, bis auf ein paar Weihnachts-Newsletter, die digitale Kommunikationsintensität auf nahe zu Null. Die Zeit bis dahin ist mit Aufgaben und Terminen gut gefüllt, es muss alles noch fertig werden und der Zeitdruck ist bei manchen sehr groß. Man stellt sich die Frage, ob das schon immer so war bzw. wie das in Zukunft weiter gehen wird.
Nachdem ich vor einigen Monaten mit einem meiner inspirierenden Mentoren und Kollegen, Professor Bruno Buchberger, ein Gespräch über die aktuelle Innovationsdynamik hatte, möchte ich einen Teil daraus dem heutigen Beitrag widmen. In seinem Buchmanuskript mit der Überschrift „Wissenschaft und Meditation: Die Erfindung der Zukunft“ beschäftigt sich Bruno mit der Frage, ob es bereits 5 vor 12 ist oder 12 vor 5? (unter dem Link sind seine Vorträge abzurufen)
Er wirft damit einen Blick auf die aktuellen globalen Herausforderungen, insbesondere dem Klimawandel. Ich hatte die große Freude, Bruno Buchberger ein Feedback auf sein Buchmanuskript geben zu dürfen und habe beim Lesen wieder enorm viel gelernt. An dieser Stelle möchte ich auch auf ein Radiointerview mit Prof. Bruno Buchberger und Prof. Hermann Maurer hinweisen, das ich bei ORF Ö1 in der Sendereihe Matrix mit dem Titel „Legenden im Unruhezustand“ moderieren durfte.
„Wir haben uns in eine schwierige Lage manövriert“, schreibt Bruno in seiner unveröffentlichten Publikation. Seiner Meinung nach müssen wir einen Lebensstil erfinden, der wissenschaftliche und technologische Innovation mit einer tiefen intuitiven Harmonie mit der Natur verbindet. Der Weg dorthin braucht ein tiefes Verständnis der Natur, das auf zwei Wegen gewonnen werden kann: Der Weg der Wissenschaft und der Weg der Meditation (den ich selbst gerade für mich erkunde). Ich möchte heute nicht auf den Bereich Meditation eingehen, aber eine Erklärung für die eingangs beschriebene Innovationsdynamik liefern.
Der Weg der Wissenschaft und Innovation ist ein über viele Jahrhunderte kultivierte Dreischritt „Beobachten – Denken – Handeln“. Dieser Weg führt zum intellektuellen Verstehen und darauf aufbauend zum praktischen Umgang mit der Natur. Die nüchterne Betrachtung der globalen Probleme zeigt, dass wir zu Gunsten unsere Lebensqualität in manchen Bereichen über das Ziel hinausgeschossen sind. Der Weg der Wissenschaft und Innovation ermöglicht zwar in immer schnelleren Zyklen eine immer größere Herrschaft über die Natur („Macht Euch die Erde untertan!“). Das unkritische Ausleben dieser Möglichkeit kann eine Umwelt schaffen, die uns die eigene Lebensgrundlage entzieht.
Die Abbildung zeigt den zuvor genannten Dreischritt „Beobachten – Denken – Handeln“. Im Prinzip wiederholt sich dieser Vorgang bei jedem Menschen jeden Tag in einer Endlosschleife. Ein Beispiel dazu: In der Natur sehen wir z.B. einen Apfelbaum (Abbildung) mit einem darauf hängenden reifen Apfel, der uns anlacht. Unsere Sinne sind in Kontakt mit der Umgebung. Der Wunsch den Apfel zu Essen steigt und beflügelt unsere Lösungsenergie und Kreativität. Wir beobachten, dass die Höhe von vier Metern nicht für uns erreichbar ist. Wir denken nach und die Lösung eine Leiter im Keller zu holen, um diese Höhe zu überwinden, ist naheliegend. Danach handeln wir nach dem Gedankenmodell bzw. Plan: Wir steigen auf die Leiter, pflücken den Apfel und erfreuen uns an seinem Geschmack.
Das sehr einfache Beispiel verwendet sehr einfache Hilfsmittel und Werkzeuge. Das Anwenden einer bekannten Lösung („Technologie“) ist ein einfacher Denkprozess. Das Erfinden des Prinzips einer passenden Technologie kann ein langer, schwieriger Zyklus von Beobachten – Denken – Handeln sein. Damit sind wir mitten im Thema Innovationsmanagement gelandet. In der Natur des Menschen steigt das Verlangen noch bessere Lösungen zu finden. Im Falle des „Apfelpflückproblems“ gibt es inzwischen eine Vielzahl maschineller Lösungen, die einen ganze Apfelbaum in kurzer Zeit abräumen.
Der Zyklus „Beobachten – Denken – Handeln“ wurde in den letzten Jahren durch Wissenschaft und Technologie enorm beschleunigt. Es ist also nicht mehr alleine der Mensch mit seinem Gehirn, Sinnesorganen und Händen, der in die Entwicklung eingreift. Wir haben Methoden und Werkzeuge erfunden, die uns das Beobachten in Mikrostrukturen erlauben (z.B. durch Mikroskope). Wir haben durch Mathematik und Mikroprozessoren leistungsfähige Denkhilfen erschaffen und durch Aktoren sind wir längst in der industriellen Fertigung in der Lage Roboter einzusetzen.
Durch diese technologischen Neuerungen, die von der Wissenschaft und dem Erfindungsgeist des Menschen erschaffen wurden, sind wir heute in der Lage, in hoher Geschwindigkeit in Prozesse und Lösungen einzugreifen und sie zu verbessern. Mit dem durch Geräte der letzten Jahrzehnte unterstützen Zyklus von „Beobachten – Denken – Handeln“ wurden enorm viel neues Wissen gewonnen (z.B. Vorgänge in biologischen Zellen), jede Menge neuer Produkte erzeugt (Autos, Bildungswesen, etc.) und ein gewaltiges globales gesellschaftliches und wirtschaftliches System aufgebaut.
Die wichtigste Konsequenz aus der einfachen Beobachtung des Kreislaufs anhand der Abbildungen für die Evolution der menschlichen Gesellschaft ist aber: Der Vorgang des „mehr“, „immer tiefer“, „immer weiter“, „immer früher“, … also die Innovationsgeschwindigkeit wird immer höher! Ein Treiber dafür ist nicht nur neue Technologien und Lösungen für das „Beobachten – Denken – Handeln“ im Dreischritt, sondern, dass der zusätzliche Reflexionsprozess (roter Pfeil in der Abbildung) dazu führt, dass auch die Methode dieses Dreischritts eine Höherentwicklung und damit eine weitere Beschleunigung erfährt. In den letzten Jahrzehnten ist diese Beschleunigung der „Innovationsspirale“ innerhalb eines Jahrzehnts deutlich erlebbar.
Mit Technologiesprüngen wird eine noch höhere Veränderungsintensität ermöglicht und letztlich auch von uns Menschen gefordert. Wenn man vor mehr als 250 Jahren auf die Welt gekommen ist, hat man während der gesamten Lebenszeit keine technologischen Veränderungen erlebt. Wer die Einführung des ersten Mikrocomputers bereits miterlebt hat, kann seit 1980 auf eine Reihe an Technologiesprüngen zurückblicken und wird in Zukunft noch viele erleben. Technologien und Innovationen liefern die Grundlage unseres Wohlstands, aber sie fordern auch eine zunehmend geistige und körperliche Leistungsfähigkeit.
Die Zuwächse und Veränderungen in Wissenschaft, Technologie, Wirtschaft im letzten Jahrzehnt sind so groß wie vielleicht die der letzten drei Jahrzehnte davor. Sie sind aber wahrscheinlich auch größer als die des Jahrhunderts davor und auch größer als die des Jahrtausends davor. Wir erleben also eine überproportionale (exponentielle) Veränderungsgeschwindigkeit, die unsere menschlichen Fähigkeiten mit (nach wie vor) zwei Augen, zwei Ohren und zwei Händen, etc. an die Grenzen bringen kann.
Fazit: Wir müssen den Umgang mit Veränderungen und die Disziplin Innovationsmanagement im Unternehmen zu einem integralen Bestandteil unsere Arbeitsprozesse machen.
Es liegt in der Natur des Menschen immer nach neuen Lösungen und Verbesserungen zu suchen bzw. zu entwickeln. Dieser Kreislauf lässt sich damit auch nicht stoppen (um z.B. den Klimawandel zu stoppen). Wir haben es aber in der Hand mit Innovationen so sensibel umzugehen, damit wir uns nicht selbst die Lebensgrundlage entziehen. Aktuell ist eine verstärkte Sensibilität für Ressourceneinsatz und Kreislaufwirtschaft zu sehen. Ich bin also positiv gestimmt, dass wir unsere aktuellen und globalen Probleme noch früh genug lösen können.
Bist du selbst ein Innovator und Beschleuniger des Prozesses? Wie erlebst du die Veränderungsgeschwindigkeit in deinem Unternehmen? Wie gehst du damit um und welche Methoden und Tools setzt du ein?
Für den kommenden Sonntag, den 24.12., wünsche ich dir ein schönes und erholsames Weihnachtsfest mit deiner Familie. Ich melde mich mit einer nächsten Ausgabe von „Leiden:schafft INNOVATION“ wieder im neuen Jahr!
Ich freue mich wie immer auf Feedback und wünsche noch einen erholsam-kreativen Sonntag!
Reinhard Willfort, Innovationsdoktor, www.willfort.at